Sackgasse Identitätspolitik
Exkurs in die Heimat
Betrachten wir die Diskurse zu dem Begriff „Heimat“ wird schnell deutlich: wenn es eine Heimat gibt, bedeutet das für die Menschen eine Identifikation mit diesem Ort und der Vorstellung, sie hätten mit den Menschen von dort etwas gemeinsam. Es mag stimmen, dass man an manchen Orten den Kartoffelsalat schon immer gleich zubereitet hat, dass wenn man von dort kommt, man ihn schon immer so gegessen hat und gar nicht anders mag. So geht es vielleicht auch allen anderen in Altheim, jedoch ist die darauffolgende Identifikation mit anderen Menschen aus Altheim ein falsches Bewusstsein: sie haben nicht wirklich viele Gemeinsamkeiten. In Altheim wohnt eine Lesbe, einer der reich erbt, ein Frauenschläger, eine Depressive, eine Kindergärtnerin, ein Hausarzt, ein Nazi und ein Linker (hoffentlich). Diese Menschen essen vielleicht ihren Kartoffelsalat auf die gleiche Weise, haben aber nichts entscheidendes gemeinsam. Der Begriff Heimat vereint sie also zu Unrecht. Und was das Konzept Heimat dabei verlangt, ist, dass es Menschen gibt, die dazugehören, und welche die es nicht tun. Die Heimatkritik schlussfolgert schnell, dass die Vorstellung von Heimat in Traditionskult und Feindlichkeit gegenüber neuen Dingen aber auch Menschen umschwingt. Wer von Heimat faselt, faselt vielleicht auch schneller davon, dass der Kartoffelsalat deutsch ist und deutsch bleiben soll, dass der Kartoffelsalat gefährdet ist durch unsere neuen Mitbürger:innen, dass Kartoffelsalat und Kopftuch nicht zusammengehören. Aus dieser sehr gängigen Debatte für und gegen den Begriff Heimat, können wir ableiten, was die Menschen mit Heimat verknüpfen: sie mögen die Lüge der großen Zusammengehörigkeit, die auf kleinen wahren Gegebenheiten beruht. Der Kartoffelsalat in Altheim ist eventuell anders als in anderen Teilen der Welt, sich aber auf Kartoffelsalat zu berufen, verschließt die Augen vor echten Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Die Identität als Altheimer:in kann dadurch schaden. Auch in heutigen postmodernen Theorien, versteifen sich linke Analysen auf Identitäten, es entwickelte sich Identitätspolitik. So schlossen sich queere Menschen anhand ihres Geschlechts oder ihrer Sexualität zusammen, Frauen schlossen sich zusammen genauso wie Menschen, die Rassismuserfahrungen machen. Aus ihrer Diskriminierung leiten sie eine Identität ab, auf welche sie sich berufen.
Ist das falsch?
Diese Realitäten sind wahr, verkennen aber andere Unterschiede oder Gemeinsamkeiten außerhalb und innerhalb dieser Identitätsgruppen. Es beginnt eine falsche Separation. Wer sich beispielsweise aufgrund seiner:ihrer Hautfarbe in einer Gruppe zusammenfindet, verkennt, dass die Erfahrungen, Chancen und Unterdrückungen in unserer Gesellschaft nicht alleinig von einer Hautfarbe abhängen. Ebenso bringen reine Frauengruppen keine Einheit und Schlagkraft durch die Geschlechtszugehörigkeit. Noch falscher wäre es, sich in noch kleine Gruppen zu splittern, wie etwa eine Frauengruppe für schwarze Frauen oder eine Gruppe für weiße schwule Männer. Es ist zunächst logisch, dass Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, diese analysieren und eine Identität daraus konstruieren. Im Widerstand gegen die Unterdrückung ist es dann wichtig, einen Stolz aufgrund dieser Identität zu entwickeln und sie nicht zu verkennen oder zu weichen. Dennoch darf dieser Prozess nicht dort enden und in einer Abkapselung der Identität münden. Damit entzieht man sich den Kämpfen, welche eben nicht in Splittergruppen, die sich auf eine Teilgemeinsamkeit versteifen, gelingen können.
Identität Klasse
Stattdessen müssen sich die einzelnen Personen in identitätsübergreifenden Gruppen zusammenfinden, die sich auf einer einzigen Identität beruft: ihrer Klassenzugehörigkeit. Das ist die einzige Ausbeutung, die sie alle gemeinsam haben und die ihre Überausbeutungen, wie etwa die von Frauen erklärt und bestärkt. Die einzelnen Erfahrungen, wie beispielsweise Rassismus, müssen in diese Organisationen hineingetragen werden, anstatt sie auszulagern. Oft meiden allerdings Menschen diese Art der politischen Organisation, da sie sich lieber in die Lüge der Identität stürzen wollen und sich einreden, in den Kleingruppen sicherer zu sein. Dabei wird wieder verkannt, dass es in unserem System keine Sicherheit geben kann, auch nicht unter vermeintlich Gleichen und dass dieser Rückzug keine Veränderung bewirken kann. Man kapselt nämlich nicht nur sich, sondern auch die Forderungen ab.
Der Zusammenschluss von FINTA-Gruppen aufgrund von der Identität, patriarchal unterdrückt zu sein, mündet oftmals darin, dass die einzelnen unterschiedlichen Unterdrückungsmuster verschleiert werden, da sie der gemeinsamen Identität als „FINTA“ weichen müssen. Zudem hat diese Form der Politik eine Wirkung auf alle Männer: sie müssen sich nicht mehr mit den Anliegen der „FINTA“ beschäftigen, da diese nun eigene Strukturen haben. Von diesem falschen Zusammenschluss von „FINTA“ profitieren also weder die Inkludierten, noch die Exkludierten. Stattdessen hemmt es die Politik beider Gruppen.
Selbstentmündigung
Ebenso kann es passieren, dass die Versteifung auf die vermeintlich gleiche Identität und vermeintlich gleiche Diskriminierung in solchen Identitätsgruppen dazu führt, dass die Menschen sich nicht als mündige Frauen, Non-binary, oder Interpersonen sehen – stattdessen kommt es nach und nach zu einer Identifikation mit einer „Opferrolle“. Die Identität ist nicht mehr das Geschlecht, sondern die Tatsache geschlechtsbasierte Gewalt zu erfahren. Eine Falle, die den Menschen nicht nur psychische Kraft, sondern auch politische Schlagkraft raubt. Ebenfalls leidet der politische Kampf unter mit dieser Politik einhergehenden Regeln: wir sahen schon, dass es inkludierte und exkludierte Menschen durch die Vorstellung fester Identitäten gibt. Die Identitätspolitik verlangt daher von Menschen, dass nur die Menschen mit entsprechender Identität und Erfahrung ihre Kämpfe führen dürfen – alle anderen sind maximal Allys. Das ist eine Hemmung aller Kräfte und zeigt sich in kleinsten Situationen: ein politisches Treffen, dass Forderungen gegen das Patriarchat oder gegen Rassismus ausarbeiten möchte, aber nur aus weißen Männern besteht, darf nach der Identitätspolitik nicht für diese Diskriminierungen und nicht für die Betroffenen sprechen, damit können sie keine antipatriarchale oder antirassistische Politik machen – sie bleibt wieder an Betroffenen und Überausgebeuteten hängen oder muss von ihnen angeleitet werden. Dafür müssten sie erst einmal in dieses Treffen kommen, was sie nicht tun, da sie ihr eigenes aufgrund ihres Andersseins und ihrer vermeintlichen internen Zusammengehörigkeit haben.
Antikapitalismus für den Kapitalismus
Menschen sind also plötzlich geteilt aufgrund von Eigenschaften, die uns das System eintrichtert: Geschlechtertrennung, „Rassentrennung“, „normale“ Sexualitäten und queere Sexualitäten. Die Welt, die bekämpft werden soll, wird so noch stärker reproduziert. Das Konzept Ally-Ship teilt dann in Menschen, die Kämpfe führen und Menschen, die sie angeblich nicht führen, sondern unterstützen sollen. Dabei ist das schlicht und einfach falsch: wer nämlich einen Kampf gegen Unterdrückung führen möchte, muss das auch mit Männern tun, sogar mit weißen Männern. Die Unterdrückung fußt auf einer Ausbeutung, von der auch sie, als Arbeiter, betroffen sein können. Die Teilung in Betroffen und Allys verkennt das. Es darf nur eine Aufteilung geben zwischen solidarisch miteinander antikapitalistisch Kämpfenden und zu bekämpfenden Ausbeutern. Alles andere ist eine schwächende und falsche Trennung, eine Verblendung durch Identität, eine verbindende Lüge (nach Anthony Appiah). Unser Kampf darf keiner sein, in dem manche nur Allys sind, unser Kampf muss einer sein, in dem wir alle mit Solidarität kämpfen, einer in dem es keine passiven Rollen gibt, bei denen man sich aus der Betroffenheit und Verantwortung ziehen kann.
Die Ausbauten des Kapitalismus, wie beispielsweise der Rassismus, sind zeitgleich seine Stützen: nicht nur hilft er ihm, die globale Ausbeutung zu betreiben, gleichzeitig spaltet er den Widerstand gegen ihn. Der weiße Arbeiter fällt auf die Falle rein, und gibt die Schuld am schlechten Lohn den Geflüchteten, die ihm angeblich Geld, Arbeit, Wohnraum und Frauen wegnehmen würden. Anstatt die Verantwortlichkeit in der Politik zu suchen, nimmt er sich die leichteren Erklärungen, fällt auf diese Geschichten herein und lässt sich verblenden. Genau dieser Zustand ist eigentlich unser Feind, genau gegen diese Ideologie und kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen Zustände gilt es aktiv zu werden. Dafür muss eine Politik gestaltet werden. Die Identitätspolitik ist es aber nicht, sie fußt genauso auf der Trennung von Widerstand, einer Schwächung der Revolution.
Antifa als Identität
Das gilt absurder Weise auch für die Identität „Antifa“ – manche Antifaschist:innen reimen sich auf ihre gesellschaftliche Ausgrenzung und Erfahrung mit Polizeigewalt eine Identität zusammen als „Antifa“. Als solche kapseln sie sich ebenfalls ab, schließen mit einer Gesellschaft ab, die sie verändern wollen, ohne zu hinterfragen, ob sich eine Gesellschaft verändern lässt, von der man sich bewusst distanziert. Dabei ist die Lösung für alle Identitäten, auch die als Antifaschist:in, sie bewusst in die Gesellschaft und raus aus der Abschottung zu bringen. Dieses In-die-Gesellschaft-treten, darf sich aber nicht in reiner Repräsentation erschöpfen.
Keine Quoten, Werbeplakate oder Fernsehrollen verändern unser Leben voller Unterdrückung. Natürlich ist sichtbare Diversität wichtig. Noch wichtiger ist aber, dass es nicht nur bei der Darstellung bleibt, sondern auch eine ernsthafte Gleichbehandlung von Hautfarben, Geschlechtern und Sexualitäten folgt. Und dieses Ziel erreichen wir nicht durch die Behandlung von kleinen Symptomen, wir müssen an die Wurzel. Für den Feminismus gilt daher: Jeder Feminismus, der nur Wert auf Repräsentation von Frauen und anderen unterdrückten Geschlechtern legt, ist eine kapitalistische und neoliberale Verblendung. Oder um es mit den Worten von keinem weniger als Pöbel MC zu sagen „Euer Markt wird nicht gerecht, egal wie er sich umdeutet. Ihm ist doch scheißegal, welches Gender dich ausbeutet.“ – das Girlboss-Movement ist das peinliche Comeback der bürgerlichen Frauenbewegung. Das einzige Problem unserer Zeit ist nur, dass ihm nicht mehr die proletarische Frauenbewegung die Stirn bietet, sondern ein weiterer verblendeter Feminismus, der lediglich fordert, die Sprache müsse mehr Geschlechter ansprechen. Dort muss tatkräftig angesetzt werden: zeigen wir den kapitalistischen Feminismen, wie eine Befreiung aller Geschlechter aussieht. Bauen wir einen Feminismus auf, der einen klaren Klassenstandpunkt hat. Einer, der Klasse nicht als Identität und Unterdrückung durch „Klassismus“ abtut, sondern einer, der den Kapitalismus stürzen will und ökonomische Ausbeutung bekämpft.